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  • AutorenbildReini Frei

Tag 19: Rivergaro (10/12km). Zerstreuung – mit Hemingway, Schopenhauer, Columban, Heidegger & Co.

Hemingway was here! (Wo war er nicht?). Tatsächlich bereiste er das Tal 1945 mit amerikanischen Truppen als Journalist. Er habe gesagt, das Val Trebbia sei «the most beautiful valley in the world.» Natürlich schmückt sich jetzt «Emiliaromagna-Naturismo» mit diesem Ausspruch. Aber es ist auch sehr schön, klar, kein Vergleich zum Rheintal, aber sehr schön, erinnert schon ein bisschen an die Toskana mit den Hügeln, den Dörfern auf den Hügeln, den feinen Agroturismo-B&B und -Beizen, sich schlängelnden Strassen und Wegen. Den Weg hier rauf – oberhalb Rivergaro – habe ich sehr genossen, die 12 km und 300 Höhenmeter waren auch keine Meisterleistung. Da konnte man schon ins Philosophieren kommen. Was ich – aufgrund eines SMS meines Bruders – auch tat.


(Weit-)Wandern ist zu sich kommen, ist «reduce to the max». Keine Zerstreuung des Lebens oder, wie es Heidegger sagte, «kein Sturz in die Alltäglichkeit des Lebens oder das Versinken in ihr». Im täglichen (Arbeits-) Leben ist man oft unfrei, muss sich fügen und beugen – das geht ja noch, muss jeder und jede mal, aber die Alltäglichkeit verlangt oft auch nach Reizen, nach Wünschen, die befriedigt werden müssen. Und sind sie mal befriedigt, kommen neue Reize... Da tut es gut, mal auf Distanz zu dieser Alltäglichkeit zu gehen, sich von der Zerstreuung zu befreien und nur das Jetzt, die Natur, das Alleinsein zu geniessen. Das kann man beim (Weit-)Wandern.


Auf diesem Weg im Val di Trebbia also wanderten so unterschiedliche Typen wie Hemingway und Columban – kaum Schopenhauer, der – wie Kant – praktisch in Frankfurt nur im Haus und ums Haus lebte. Schopenhauer, der Antichrist, und Columban, der Oberchrist, hatten eines gemeinsam, was Hemingway nicht hatte – sie suchten nicht die Zerstreuung, sondern die Reduktion, das Alleinsein, konzentrierten und staunten, wie die Dinge sind und fragten nicht, warum und dass sie sind. Sie wollten beide frei bleiben und die Wunder der Existenz wahrnehmen. Anders Hemingway – er suchte Zerstreuung, Abenteuer, Genuss, Kampf, Besitz. Jeder Tag war für ihn ein Verlangen nach Reizen, eine Befriedigung dieser. Dieses Verlangen nach Zerstreuung ist für Hemingway ein Verlangen nach Besitz, nach «Haben», nicht «Sein». «Was wir besitzen, fängt oft an, uns zu besitzen.» (Schopenhauer).


Ich habe diese Weitwanderung unternommen, um einen Schlussstrich unter mein erstes und für den Beginn meines zweiten «Arbeitslebens» zu machen. Arbeit, die man gerne macht, befriedigt und macht glücklich. Und Glück – so Schopenhauer – kommt aus drei Quellen: «was man ist, was man hat und was man in den Augen anderer darstellt». Wenn wir uns auf die erste Quelle konzentrieren, die anderen beiden vergessen, dann werden wir richtig glücklich. Ich habe oft für die beiden anderen Quellen gelebt. Diese Quellen aber können rasch versiegen. Die erste nicht. Es ist an der Zeit, vermehrt von der richtigen Quelle zu trinken…


Mit meiner Weitwanderung laufe ich vor nichts davon – nein, ich will nur einen Abschluss unter ein recht anforderungsreiches, schönes, befriedigendes Arbeitsleben machen und Kräfte für einen Neubeginn sammeln. In diesem zweiten Arbeitsleben will ich Reduktion, Konzentration auf Weniges, auf Wesentliches. Ich fühle mich grossartig inmitten dieses momentanen Alleinseins, im Wissen, dass ich dies nicht für immer möchte, nicht so Leben möchte wie Schopenhauer – ohne Familie, Freunde, in Einsamkeit – oder auch Columban!


Nein, da ist mir dann Hemingway doch lieber… Und darum genoss ich heute auch wieder ein Tiramisu (Note 8 – hervorragend, mit kleinen, zarten Schokokügelchen versetzt!). Auch die zweite Quelle - im Mass genossen - hat vieles für sich – nur die dritte sollte man versiegen lassen…


Der 19. Tag mit Sonne und Wärme..


Der Busbahnhof - ohne Busse. Aber sie kamen dann doch noch, mit italienischer Verspätung... 10km lies ich mich aus Piacenza rausfahren und...


...genoss dann die wunderbaren Wege im Val di Trebbia, die sogar weiss-rot markiert waren.


Fast schon wie in der Toskana...

Der Agroturismo, in dem ich heute übernachtete und ein hervorragendes "hemingwaysches" Mittagessen genoss...



...bei dem natürlich das x-te Tiramisu nicht fehlen durfte!


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